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Boston-Marathon - ein Erlebnisbericht von Henning Deters

Wem in Boston die Ehre zuteil wird, in der ersten Welle zu starten, der muss früh aufstehen. Bekanntlich ist der der Boston-Marathon ein Punkt-zu-Punkt-Kurs, und deshalb werden die rund 36.000 Läufer und – seit Kathy Switzer – auch Läuferinnen zunächst mit Bussen aus der Stadt hinausgefahren und in das kleine Dörfchen Hopkinton gebracht. Der erste Bus geht um viertel nach sechs. Um kurz nach fünf stand ich auf der Straße und lief auf dem kürzesten Weg zur U-Bahn. Zumindest dachte ich das. Ein freundlicher Läufer nahm mich in seinem Wagen mit, so dass ich es trotz Umweg noch rechtzeitig zur Gepäckabgabe und in einen der zahlreichen gelben Schulbusse schaffte.

Wie sich herausstellte, hätte es ruhig später sein dürfen. Um so kürzer hätte ich im «Athletes Village» auf den Start warten zu brauchen. Schon während der Fahrt begann bei Temperaturen um die acht Grad das große Zittern. Schlaftrunken und frierend besorgte ich schleunigst eine Rettungsdecke und nahm zusammen mit heißem Kaffe ein ordentliches Frühstück ein, das hier reichhaltig kredenzt wurde, denn es galt noch zwei Stunden bis zum Start zu überbrücken. Langsam begann auch die Sonne den Rasen aufzuwärmen, auf dem ich und einige tausend andere uns lümmelten, bis der Reihe nach zum Start aufgerufen wurde. Die Atmosphäre glich der eines Rockmusik-Festivals, nur weniger biergeschwängert. Ernst und Still wurde es für einen Moment, als der Stadionsprecher zu einer Gedenkminute an die Opfer der «Boston Marathon Bombings» im vergangenen Jahr aufrief.

Der Start der ersten Welle erfolgte nochmals unterteilt in acht Blöcke. Das alles lief erstaunlich reibunglos ab. Selten habe ich bei einem Massenstart so wenig Gedränge erlebt. Gemächlich schlenderte man durch Hopkinton zum Start, die Straßen waren bereits vorher von enthusiastischen Zuschauern gesäumt. Einer verteilte aus einem Zelt kostenlos Wasser, Vaseline, Pflaster, und was man in letzter Sekunde noch so braucht und gern vergisst. Auf der anderen Straßenseite boten ein Haufen amerikanischer Verbindungsstudenten wie aus dem Bilderbuch den AthletInnen Donuts, Zigaretten und Freibier an. Endlich am Start, gab es eine erfrischend kurze Ansprache des Renndirektors, ein offenbar bekannter Tenor trug das «Star-Spangled Banner» vor, und schließlich flogen unter großem Applaus noch drei gewaltige Kampfhubschrauber über die Köpfe hinweg; eine sehr markante Erinnerung daran, dass der Boston-Marathon traditionell am Patriot's Day, dem dritten Montag im April, stattfindet, der an den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg erinnern soll. Dann, pünktlich um zehn, endlich der Start.

Immerzu nach Osten ging es, der mittlerweile höher stehenden und bereits wärmeren Sonne entgegen. Dem Läufer sei also neben alter Kleidung zum Warmhalten und Wegwerfen auch ein Blendschutz empfohlen. Die ersten fünf Kilometer, und besonders der erste, gehen bergab. Die noch dichte Menge bewahrte mich dennoch davor, zu schnell anzugehen: 4:10, 3:59, 3:57, und nachdem die Menge sich verlief schließlich 3:48. Die ersten 5km legte ich somit in 20:10 zurück. Das entsprach weitgehend meinem Ziel, unter 2:50 zu laufen, denn dazu sind ein Kilometerschnitt von vier Minuten bzw. Fünfkilometerabschnitte von 20 Minuten vonnöten. Müdigkeit und Kälte waren nun vorbei, und ich war froh, neben dem Sonnenschutz nicht mehr als Singlet (ausnahmsweise in den Farben der Boston Athletic Association) und «Flatterhöschen» («split shorts», wie man hier sagt) zu tragen. «Smile, if you don't wear underwear», stand auf einem Schild, worauf ich unwillkürlich lachen musste. Auf einem anderen stand «touch here, for extra power». Das bewirkte ein leichtes Anziehen der Geschwindigkeit (3:51) bis zur ersten Wasserstation, bei der ich mich mit dem ersten von fünf mitgebrachten Packungen Astronautenfutter versorgte (4:11) und gleich noch einen Becher Wasser auf meinem Kopf ausleerte. Weiter ging es auf nun weitgehend ebener Strecke in 3:53 und 3:59 bis zum 10km-Punkt in Farmingham, den ich in komfortablen 40:07 passierte. Hier wurde es langsam städtischer, und der lautstarke Zuspruch vom Straßenrand nahm noch weiter zu. Es gab keinen halben Meter Bordstein, der nicht von Menschen gesäumt war. Kinder hielten mir Wassereis und Orangenscheiben entgegen, auf die ich gemäß der alten Weisheit, im Rennen nichts zu tun, was man nicht im Training probiert hat, vorsichtshalber verzichtete. Stattdessen nahm ich lieber dutzende «high fives» entgegen, auch wenn das ein paar Meter extra bedeutete. 3:53, 3:51, 3:53, 4:00, 3:59 lauteten die Zwischenzeiten bis zum 15km-Punkt in Natick, und damit lag die Durchgangszeit bei präzis einer Stunde und einer Sekunde. Hier passierte ich «<a href="/http://www.teamhoyt.com/">Team Hoyt</a>», eine Legende der amerikanischen Laufszene. Wir passierten eine Brücke. Ein besonders entspannter Zuschauer folgte dem Spektakel vom Wasser aus. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und eine Angelrute an seiner Seite, lag er auf einem Kanu. Was für ein Kontrast zu der rastlosen Bewegung um mich herum! Es begann ein leichter Anstieg und die erste spürbare Anstrengung. Die Zwischenzeiten sanken leicht ab (4:03, 4:04, 4:00, 4:02), bis in Wellesley eine Reihe immergrüner Bäume (der Frühling kommt spät in Massachusetts) kurz Schatten spendeten. Der berühmte «<a href="/http://www.boston.com/yourtown/wellesley/gallery/wellesley_in_the_marathon/">scream tunnel</a>» am Mädchen-College von Wellesley verschaffte mir vor dem 20km-Punkt einen weiteren Energieschub (3:55).«Kiss me, I'm single» behaupteten dort mehr Schilder als vermutlich der Wahrheit entsprach.

Die 20km-Zwischenzeit lag mit 1:20:08 im Soll, und der Halbmarathon in 1:24:29 hätte sogar noch knapp zu einer 2:58 gereicht, doch trifft auf Boston insbesondere zu, dass der Marathon ein 10km-Rennen mit 32 Kilometern Warmlaufen ist. Nach 25km (Zwischenzeit 1:40:01) erreicht der Kurs seinen vorerst niedrigsten Punkt, auf 11 Metern über dem Meeresspiegel. Der Start lag noch bei 140 Metern. Es stimmt deshalb, dass Boston ein Bergablauf ist. Neben der Tatsache, dass es sich um eine Punkt-zu-Punkt-Strecke handelt, ist das der Grund, weshalb der schnellste je gelaufene Marathon, den Geoffrey Mutai hier 2011 in einer sagenhaften Zeit von 2:03:02 absolvierte, nicht als Weltrekord anerkannt wurde. Was im großen gilt, gilt auch im kleinen: Der Bremer Landesverband erkennt hier gelaufene Zeiten nicht für die Bestenliste an. Ob das Streckenprofil allerdings wirklich ein Vorteil ist? Das kumulierte Gefälle beträgt zwar knapp 400m, es sind aber insgesamt auch mehr als 260m bergauf zu überwinden. Fürs Bergablaufen braucht man ein paar kräftige Quadrizeps, und dass das ein Gefälle zumindest eine gleich hohe Steigung nicht wett macht, weiß jede Rennradfahrerin. Es mag unter dem Strich ein Vorteil übrig bleiben. Zurück in der Wirklichkeit kümmert das wenig. Denn nach dem 25. Kilometer beginnen erst langsam, dann merklicher die Newton Hills. Hier wurden nicht nur mir die Beine schwer, sondern auch manch anderen, die stehenblieben und sich die Waden massierten. Jemand am Straßenrand hielt eine Tafel hoch, die über den aktuellen Zwischenstand im Match zwischen Boston Red Sox und Baltimore Orioles informierte. (0:1 nach dem ersten Inning. Ein Überlebender der Anschläge vom vergangenen Jahr warf den ersten Pitch, was den Sox am Ende aber doch kein Glück brachte.) Die 30-Kilometer-Marke passierte ich noch recht frisch in 2:00:29, mit Zwischenzeiten von 3:56, 3:45 (der vorerst letzte «downhill stretch»), 4:12 (what goes up, must come down und umgekehrt), 4:00 und 4:20 (bergauf). Auf dem 31. Kilometer konnte ich bergablaufend noch einmal Kraft  sammeln (3:51), während Meb Keflizighi bereits fast dem Sieg entgegenstrebte. Dann ging es mit zusammengebissenen Zähnen über die Hügel: 4:15, 4:05, und schließlich, auf dem berüchtigten «heartbreak hill» 4:23, der langsamste und mit immerhin 24 Metern steilste Abschnitt. Jetzt wurden die ersten Hochhäuser sichtbar und eine Art Triumphbogen am Straßenrand verkündete «the heartbreak is over». Zwischenzeit 2:21:06. Eine halbe Minute hatten die Hügel mich also gekostet. In 3:49 ging es beflügelt bergab.

Die Kilometer zwischen 36 und 40, bevor das Ziel in die Nähe rückt, sind immer am anstrengendsten. Aber schließlich war ich nicht über den Atlantik geflogen, um die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Hierauf hatte ich mich 18 Wochen gezielt vorbereitet, nicht auf irgend ein Rennen, sondern auf Boston. Mit einer gesunden Portion Masochismus genoss ich folglich die Quälerei der «eigentlichen» Marathonkilometer: 4:01, 4:00 und 4:02. Nun endlich befanden wir uns in der Innenstadt. Ich ließ mich von einem Läufer aus Alaska mitziehen, den die Zuschauer immer wieder anfeuerten. «Alaska, Alaska!» wurden somit die Rufe, unter denen ich die Massachusetts Avenue überquerte (3:49) und nach vierzig Kilometern (2:41:07) schnurgerader Strecke schließlich dem Zickzack des Kurses folgte: Rechts in die Hereford Street, vorbei am Boston City Fire Department (3:56) und wenig später links in die 400 Meter lange Zielgerade der Boylston Street. Sobald ich die Uhr ausmachen konnte, begann ich zu überschlagen: Etwa eine Stadionrunde im Kilometerschnitt von gut dreieinhalb Minuten, um sicher unter 2:50 zu finishen. Das hatte ich oft genug geübt. 2:49:52 ergab schließlich die offizielle Nettozeit. Einige Sekunden nach mir überquerte der Läufer aus Alaska die Zielgerade. Auf dem Weg zur Kleiderbeutelausgabe stellte sich heraus, dass er bis vor kurzem in Bremen gelebt hatte. Dort gilt es, im Herbst, die neue Bestzeit «offiziell» zu machen. Statt in Boston-blau dann in ATS-rot.

Statistik:

Gesamtposition: 953 (904 Männer, 733 Altersklasse, siebter Deutscher) von ca 36.000
Durchschnittstempo: 4:00min/km
Standardabweichung: 0,135
schnellster km: 3:40 (km 26, bergab)
langsamster km: 4:23 (heartbreak hill, bergauf)

Schnellster Mann: Meb Keflezighi, der erste amerikanische Sieger seit 1983, dem es nicht zuletzt aufgrund des <a href="/http://www.letsrun.com/news/2014/04/untold-story-american-teamwork-ryan-hall-helped-meb-keflezighi-win-boston">starken Teamworks</a> seiner Landsmänner gelang, die ostafrikanische Phalanx in einer persönlichen Bestzeit von 2:08:37 hinter sich zu lassen.

Schnellste Frau: Rita Jeptoo (Kenya), die mit ihrem dritten Boston-Sieg in 2:18:57 trotz der recht warmen Temperatur einen <a href="/http://www.sportsscientists.com/2014/04/10442/">neuen Streckenrekord</a> aufstellte und die letzten 2,2km in 6:51 abriss.

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Sporthaus Kornstraße 157
Neustadt - 28201 Bremen

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