Chronik aus der Vereinsgeschichte - Teil I
Im Februar des Jahres 1902 fassten einige Mitglieder der damals bereits bestehenden Freien Turnerschaft in Bremen in der Neustadt den Gedanken, in der Buntentorvorstadt so etwas wie eine Zweigstelle ihres Vereins zu gründen, mit dem Ziel, nicht nur die Buntentorvorstadt, sondern auch das sich daran anschließende Kattenturmer Viertel auf turnerischem Gebiet zu erschließen.
Es kam jedoch nicht zur Eröffnung einer solchen "Filiale", dafür trafen sich aber am 6.Juni 1902 in Mühlstedts Lokal am Buntentorsteinweg, Ecke Gellertstraße, (dort wo sich heute das Schnürschuhtheater befindet) 53 Personen, die einen neuen Turnverein aus der Taufe hoben und Johann Drettmann zu ihrem 1. Vorsitzenden wählten. Hierbei war es ein besonderes Anliegen dieses Personenkreises, mit dem neuen Verein, dem sie den Namen
"Turnverein Fortschritt"
gaben, als Arbeiter-Turnverein der Freien Turnerschaft in Bremen beizutreten.Im April 1904 erfolgte dann auch die Aufnahme in den Arbeiter-Turn-und Sportbund und die Eingliederung des Vereins in die Freie Turnerschaft als 4. Abteilung.
Nach einer ruhigen Zeit der Entwicklung sonderte sich noch im November des gleichen Jahres ein Teil der Mitglieder ab und gründete unter dem Namen "Turnverein Fortschritt der Südervorstadt" einen neuen Verein, der jedoch nach einigen Jahren als nunmehr 8. Abteilung der Freien Turnerschaft, auch in den Arbeiter-Turn- und Sportverein aufgenommen wurde. Die Hintergründe dieser Trennung können leider von keiner Seite mehr aufgeklärt werden, sie dürften aber mit Sicherheit auf politischer Ebene gelegen haben. Das war der erste große Rückschlag für den Verein, mitdem eine nicht unerhebliche Einbuße an Mitgliedern verbunden gewesen sein dürfte, die mit abgewandert sind.
Aber zu den Anfängen: Die ersten Übungsstätten des Vereins waren eine Viehweide und bei Regenwetter ein Stall eines den Turnern wohlgesonnenen Neuenlander Bauern. Trotz der primitiven Verhältnisse herrschte ein lebendiger turnerischer Geist in den Reihen der Mitglieder, die ja bereit waren, den Schwierigkeiten zu trotzen. Aber im Winter musste nun doch auf die Kegelbahn bei Mühlstedt ausgewichen werden und vor der Hand diente diese nun als Übungsstätte, in der zwar leider ein Reck wegen der geringen Höhe nicht aufgestellt werden konnte, aber umso fleißiger wurde am Barren und am Pferd geturnt.
Inzwischen war auch schon ein Spielmannszug gegründet worden, mit dem zusammen dann die erste Turnfahrt nach Worpswede erfolgte. Zahlreiche weitere Fahrten und Ausflüge folgten über Jahre hinaus und gingen, ebenso wie das Wandern, ein in die Tradition der Turnerfahrten, die manches Mal mit Kind und Kegel unter großer Beachtung der Bevölkerung durchgeführt wurden.
Die ersten großen Schwierigkeiten erwuchsen dem Verein durch das ständige Anwachsen seiner Mitgliederzahlen und damit des immer stärker werdenden Turnbetriebes. Obwohl noch zu Pfingsten im Jahre 1903 der ganze Betrieb in den neuerbauten Saal des Gastwirts Martin Brinks verlegt werden konnte, und damit die neuen Sorgen behoben zu sein schienen, erwies sich auch diese Stätte alsbald als zu klein und den Anforderungen nicht mehr gewachsen. Den mehrfachen Vorstellungen beim Bremischen Senat, dem Verein die Turnhalle der Schule am Buntentorsteinweg zur Verfügung zu stellen, war erst nach fünf Eingaben endlich ein Erfolg beschieden. Am 1.April.1904 erfolgte die Übersiedlung in die neue Halle. Dass die Reinigung selbst vorgenommen werden musste, machte niemandem etwas aus, die Hauptsache war, es ging aufwärts und das war der Fall, denn inzwischen wurde eine Mädchen- und eine Turnerinnen-Abteilung gegründet, nachdem eine Knabenabteilung bereits vor längerer Zeit errichtet worden war.
Das stetige Anwachsen der Mitgliederzahl stellte den Verein vor immer neue Aufgaben. Die Turnhalle am Buntentor war auch schon wieder zu klein und es wurde der Gedanke gefasst, eine eigene Turnhalle zu bauen. Zu diesem Zweck wurde von 26 Mitgliedern des Vereins die Baugenossenschaft "Eintracht" gegründet und mit einem Einsatz von je 20.- Goldmark ein bescheidenes Baukapital beschafft. Unter Beteiligung der gesamten Mitgliederschaft wurde in kurzer Zeit durch eigene Spenden und durch Sammlungen bei der Buntentorschen Geschäftswelt das Eigenkapital auf 3000.- Mark gebracht. Der aufgestellte Finanzplan behandelte ein Projekt von 42 000,- Mark. Aber noch standen nur die 3000.- Mark Eigenkapital zur Verfügung. Die aufgenommenen Verhandlungen mit dem Bauern Garbade wurden abgeschlossen, mit dem Erfolg, dass das zum Ankauf vorgesehene Grundstück in der Hardenbergstraße für 6000.- Mark erworben und als 1. Hypothek beim Grundbuchamte eingetragen wurde. Die Sparkasse gab eine zweite Hypothek in Höhe von 20.000 Mark und nach schwierigen Verhandlungen steuerte die St. Pauli-Brauerei eine weitere Hypothek von 7000,- Mark zu.
Am 1. Mai 1908 wurde mit dem Bau begonnen, aber noch fehlten 6000.- Mark. Wiederum brachten die Mitglieder, die inzwischen auf 400 angewachsen waren, durch Spenden und Sammlungen weitere 1000.- Mark auf. Aber bei der am 8. Oktober 1908 erfolgten Einweihung fehlten immer noch 5000,- Mark. Erst als die Totenlade "Vorsorge" sich entschloss, ihre Geschäftsräume in die Räume des Vereins zu verlegen, war auch diese Schwierigkeit behoben, denn von dieser Seite erfolgte dann die Hergabe der restlichen 5000,- Mark. Eine allen Anforderungen gerechtwerdende Turnhalle mit Bühne und Requisiten, vier Wohnungen, Klub-, Versammlungs- und Wirtschaftsraum war aus eigener Initiative geschaffen und die Finanzierung sichergestellt. Die Zinsen, die sich im Durchschnitt auf vier Prozent beliefen, konnten durch die Mieteinnahmen der Wohnungen aufgebracht werden.
Als jüngster, aber dennoch als einer der ersten Vereine im gesamten Gebiet des Arbeiter-Turn-und Sportbundes hatte sich der Verein durch die Erstellung einer eigenen Turnhalle große Achtung verschafft. Als Anerkennungszuschuss steuerte der Bund dann noch 200,- Mark zu.. Trotz dieser finanziellen Gewaltanstrengungen konnte der Verein dank seiner guten Kassierer allen an ihn gestellten Anforderungen gerecht werden. Die Mitgliedsbeiträge konnten in ihrer Höhe konstant gehalten werden und betrugen zum Zeitpunkt des Turnhallenbaus monatlich für Kinder 0,20 Mark, für Jugendliche (damals nannte man sie allgemein Zöglinge) 0,30 Mark, für Turnerinnen 0,30 Mark, für Passive 0,40 und für Turner 0,50 Mark. Eine Gegenüberstellung mit den heutigen Zahlen ist sicher nicht uninteressant. Ein Vergleich, aber ist schon deshalb nicht möglich, weil die Zeiten vor dem Ersten Weltkrieg gegenüber den derzeitigen Verhältnissen finanzpolitisch völlig stabil waren.
Natürlich haben die Kassierer einen erheblichen Anteil an dem Gelingen dieses Werkes, aber die Hauptarbeit oblag doch dem gesamten Vorstand mit den beiden Vorsitzenden J. Drettmann und H. von der Heide an der Spitze, sowie dem Technischen Ausschuss mit ihren führenden Mitgliedern J. Claußen und L. Stickann. Nicht nur, dass die einzelnen Verhandlungen mit Ausdauer bestritten werden mussten, es galt auch, immer die Grenzen zu wahren, um den Verein nicht in ein finanzielles Abenteuer zu stürzen. Der Untergang wäre die Folge gewesen. Notwendig war aber auch, die Mitglieder bei der Stange zu halten, denn nicht alle besaßen sie den Optimismus, den die Funktionäre aufzubringen hatten, um einen solchen Plan Wirklichkeit werden zu lassen.
Die weitere Entwicklung ließ nicht lange auf sich warten. Im Februar 1909 schloss sich der Fußballverein 1907 dem Verein als Fußballabteilung an. Diese Truppe war gleich sehr aktiv, trugen sie doch neben ihren hiesigen Spielen noch im gleichen Jahr zwei auswärtige Spiele gegen Vereine aus Wolfenbüttel und Braunschweig aus. In den weiteren Spielen um die Meisterschaft im Bezirk Bremen hat dann die Fußballabteilung bis zum Ersten Weltkrieg eine führende Rolle mitgespielt, obgleich es zu einer Meisterschaft nicht gereicht hat.
Noch im gleichen Jahr wurde auch die Pflege der Leichtathletik aufgenommen. Neben der Turnhalle in der Hardenbergstraße befand sich ein Grundstück, das, wenn auch in bescheidenem Maße eine Übungsmöglichkeit bot. Es war nur ein sehr schmales Grundstück, auf dem man gerade noch einen 100-m-Lauf sowie Weit- und Hochsprung und Kugelstoßen durchführen konnte.
Auf dem seit Sommer 1904 auf dem Stadtwerder am Deichschartweg gelegenen Sportplatz wickelte sich ein reges sportliches Treiben ab. Faustball, Schlagball und Schleuderball der Turner sowie Tamburinball der Turnerinnen hatten eine Pflegestätte gefunden. Auch hier genügte bald der Platz nicht mehr den Anforderungen und bereits im Jahre 1906 erfolgte die Einweisung auf den inzwischen von der Stadtgemeinde erstellten großen Turnplatz auf dem erhöhten Werdergelände (das jetzige Gelände der Roland-Klinik).
Immer größerer Beliebtheit erfreute sich das Wandern, aber erst im Jahre 1912 erfolgte die erste mehrtägige Wanderung durch das Wesergebirge, der dann im nächsten Jahr eine kleine Harztour und im Jahre 1914 eine große Harzwanderung folgten. Noch am 2. August 1914 wurde eine vorgesehene Tour nach Eschershausen gestartet, obgleich an diesem Tage die Mobilmachung ausgerufen wurde.
Das Gerücht von einem bevorstehenden Kriege hatte sich hartnäckig erhalten, aber die Turner wollten und konnten es nicht glauben, dass sie nunmehr gezwungen sein sollten, die Turnhalle mit dem Schlachtfeld zu tauschen. Jäh musste die Fahrt abgebrochen werden, da die Reservisten sich unverzüglich in den Standquartieren zu melden hatten. Ein so vorzeitiges Ende der Tour und damit ein so schnelles Auseinandergehen hatte man nicht erwartet. Bereits in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn waren 80 Prozent der aktiven Mitglieder eingezogen und der verbleibende Rest dermaßen in die Rüstungsindustrie eingespannt, dass es kaum möglich war, den Übungsbetrieb aufrecht zu erhalten. Abgesehen vom Männerturnen, das fast zum Erliegen kam, konnten auch kaum noch die Turnerinnen- und Kinderturnstunden durchgeführt werden. 800 Mitglieder zählte der Verein bei Beginn des Krieges, aber das lebendige Treiben war mit einem kalten Hauch verlöscht.
Der Krieg forderte seine Opfer nicht nur an Gesundheit und Leben der Vereinsmitglieder. Infolge der aufkommenden schwierigen Ernährungslage mussten für die Bevölkerung sogenannte Volksküchen eingerichtet werden und unter diesen Gesichtspunkten wurde 1916 die mit soviel Idealismus erbaute Vereinsturnhalle zu einer Volksküche eingerichtet und dem Verein als Ersatz dafür die Turnhalle der Schule an der Kornstraße zur Verfügung gestellt.
Mit der Länge des Krieges versiechte das Vereinsleben immer mehr. Auch den einzelnen, durch Überbeanspruchung in der beruflichen Arbeit tätigen Funktionären, war es kaum möglich, den turnerischen Betrieb aufrecht zu erhalten, und so kam er Mitte des Jahres endgültig zum Erliegen. Aber bereits im Februar 1918 ergriffen Urlauber die Initiative, um einen, wenn auch nur kleinen Betrieb zu eröffnen. Zu diesem Zweck wurden Verhandlungen mit der Abteilung 8 aufgenommen, um unter Umständen gemeinsam zu turnen, denn auch hier lagen ja die gleichen schwierigen Verhältnisse vor. Den nunmehr gemeinsamen Bestrebungen der Hermann Albers, Karl Kempf, Heinrich Müller und Reinhard Drewes war es gelungen, wenn auch nur notdürftig, den Betrieb wieder anzukurbeln. Aber unter den sich überstürzenden Kriegsereignissen konnte sich kein neues Leben entwickeln, zumal die Initiatoren wieder an die Front mussten. Bei Kriegsende im November 1918 war restlos alles wieder auseinandergefallen.
Die Unentwegten hatten sich jedoch nicht erschüttern lassen, sondern unverzüglich den Wiederaufbau betrieben. Der einmal gefasste Gedanke, die Abteilungen 4 und 8 der Freien Turnerschaft zu einem Verein zu vereinigen, stand nochmals Pate, denn die feindlichen Brüder hatten längst eingesehen, dass es falsch gewesen war, die Parteipolitik in den Turnverein hineinzutragen. Schließlich verfolgten sie doch die gleichen Ziele, nämlich nach den Richtlinien des Arbeiter-Turn- und Sportbundes, der arbeitenden Bevölkerung Gelegenheit zu geben, durch sinnvolles Betreiben von Leibesübungen ihre Gesundheit zu festigen und mit Lust und Freude bei Sport und Spiel Erholung zu finden. Darüber hinaus sollte auch die Geselligkeit und Kameradschaft einer besonderen Pflege unterzogen werden, um damit eine feste Bindung und eine gemeinsame Solidarität herzustellen.
Der endgültige Zusammenschluss erfolgte dann am 4.Oktober 1919, nachdem zuvor die beiden Vorstände der Vereine die Einzelheiten geregelt hatten. Ohne viel Palaver bestand Einigkeit auf beiden Seiten darin, dem Verein einen neuen Namen zu geben. Der Vorschlag, "Arbeiter-Turn- und Sportverein Buntentor" fand einstimmige Annahme und damit waren nach 14 Jahren der Trennung die beiden Vereine wieder vereint.
Gemeinsam ging es an die Arbeit unter der Leitung der beiden Vorsitzenden Karl Kempf und Gustav König, die vordem jeweils die 1. Vorsitzenden der beiden Vereine gewesen waren. Der Turnbetrieb in allen Abteilungen musste wieder aufgebaut werden, denn 120 Mitglieder aus beiden Vereinen waren aus dem Kriege nicht zurückgekehrt. Eine weitere Zahl war als Kriegsversehrte nicht mehr imstande, sich der Turnerei zu widmen. Das war der zweite Rückschlag, den der Verein ohne eigenes Tun erlitten hatte.