„Mal andere Reize setzen“ oder „Heidelberg-Bremen geht auch mit´m Rad!“ (Okt.24)
Sven Eilinghoff und Gerrit Lubitz haben Anfang Oktober die Laufschuhe mit dem Fahrrad getauscht und dabei knapp 700 km radelnd zurückgelegt. Aber zunächst gab es eine Bahnfahrt…
Sonntag, 06.10.24: Am Sonntag soll es schon früh losgehen. Geplante Zugabfahrt um 7.44 Uhr, Treffen eine halbe Stunde vorher am Piepe-Kiosk. Räder aufgepumpt, Gepäck gepackt, Haustürschlüssel dabei – kann eigentlich nichts schiefgehen, denke ich. Doch dann – Fahrradschlüssel vergessen! Verdammt, das heißt eine Woche lang die Räder zusammenschließen. Blöder Fehler…
Im Zug kommt die Ansage, dass sich die Abfahrt um 30 Minuten verzögern wird, weil im Bahnhof Weyhe eine Massenschlägerei eine Durchfahrt unmöglich macht. Prügeln ist ja schon an sich dämlich, aber wer macht das morgens noch vor 8 Uhr?
In unserem Zug warten 300 HSV-Fans und ein Fortuna-Anhänger auf die Abfahrt zum Zweitliga-Spitzenspiel in Düsseldorf. Dazu einige Reisende, die in den Urlaub fliegen wollen und wir.
Die Verzögerung dauert an und der nächste ICE mit planmäßiger Abfahrt um 8.44 Uhr wird den Bahnhof noch vor uns verlassen – um 9.25 Uhr! Positiver Nebeneffekt: ich kann mir meinem Fahrradschlüssel zum Zug bringen lassen. Danke, Moni!
Nach zwei Stunden geht es auch für uns los, allerdings mit der Ansage, dass der Zug in Köln enden wird. Auf einer Nebenstrecke Nienburg-Minden zuckeln wir mit 40km/h durch die Landschaft, die HSV-Fans singen „Saufi, saufi!“ und die Touristen bangen um ihre Abflugzeiten.
Um 10.32 Uhr zieht der Zugführer seine Warnweste an und steigt aus. Unerwarteterweise geht es aber schon kurz danach weiter. Der ICE darf jetzt schon mal wieder 100 km/h fahren, die Bahn spendiert Wasser und Kekse und auf dem Gang durch den Zug entgehe ich nur um Haaresbreite dem Schwall eines kotzenden Kleinkindes.
Aus dem Netz erfahren wir, dass unser Lauffreund Leo den Bremen-Marathon gewonnen hat und dass die Verzögerung in Weyhe durch HSV-Fans entstanden ist, die in einem Zug auf Fahrgäste eingeschlagen haben. Die Maßnahmen der Ordnungskräfte brauchten Zeit und für die Hamburger in unserem Zug heißt das: Ausstieg am Bahnhof Düsseldorf Flughafen um 13.35 Uhr und Rennen zu den bereitstehenden Shuttle-Bussen zum Stadion. Das Spiel hat bereits begonnen und der HSV führt schon mit 1:0 als sich die Busse in Bewegung setzen. Zur 2. Halbzeit dürften die Fans im Stadion angekommen sein, für manche Flugreisende aber vermutlich zu spät und die Schadensersatzansprüche gegen die Rowdys sicher im fünfstelligen Bereich…
Die Verspätung in Heidelberg beträgt dann vier Stunden. Zweimal mussten wir umsteigen, die Radstellplätze im Triebkopf der Züge waren belegt aber irgendwie haben wir uns dazwischen gequetscht. Die Hälfte des Reisepreises wird uns in der Folge erstattet werden, aber das Sightseeing in Heidelberg war eher dunkel.
Montag, 07.10.24: Heidelberg – Babenhausen (105 km)
Bei KM 25 - der Weg am Neckar ist holprig - fliegt mir krachend die rechte Packtasche vom Gepäckträger. An der Halterung war eine Schraube gebrochen. Sven hat Werkzeug und eine passende Ersatzschraube dabei und behebt den Schaden. Inzwischen hat es zu regnen begonnen und es wird für die nächsten 50 Kilometer auch nicht aufhören. Durchnässt beziehen wir unser Quartier. Das Namensschild weist den Empfangschef als John Michael Sucker aus – klingt amerikanisch, aber wir ersparen uns eine Nachfrage.
Dienstag, 08.10.24: Babenhausen – Ulrichstein (105 km)
Abfahrt ist gegen 9 Uhr. Nach einigen Kilometern überqueren wir bei Seligenstadt den Main mit der Fähre und erreichen kurz darauf den westlichen Punkt Bayerns. Am Abend um 18.20 Uhr werden wir den höchstgelegenen Ort Hessens erreicht haben, dazwischen einige knackige Anstiege im kleinsten Gang und Abfahrten mit über 50 km/h in der Spitze und Regen, fast durchgängig ab KM 40. In Ulrichstein kann man uns nur noch zwei Einzelzimmer anbieten – etwas teurer, aber dafür zwei Badezimmer, in denen wir unser nasses Zeugs trocknen können.
Mittwoch, 09.10.24 Ulrichstein – Edermünde (122 km)
Die Profilierung der Strecke geht zurück, der Regen bleibt. Bei KM 80 gibt es eine Bodenvertiefung. Sven versucht über den rechten Rand auszuweichen, wie sich herausstellen soll ist dies nicht nur politisch besser zu vermeiden. Mit der Packtasche bleibt er an einem Poller hängen und kippt um. Zum Glück bleibt er unverletzt aber die Halterung ist verbogen. Da er mit Werkzeug hier nicht weiterkommt, hilft nur rohe Gewalt zum Zurechtbiegen, um weiterfahren zu können.
Donnerstag, 10.10.24 Edermünde – Lauenförde (105 km)
Die Erfahrung der letzten Tage zeigt uns: Gasthöfe, Bäckereien und andere kleine Läden sind von massiven Schließungen betroffen. Was regelmäßig am Weg liegt, sind Klärwerke und Sportanlagen und in Hannoversch Münden gibt es sogar einen Fahrradladen. Der ist auch dringend nötig, denn sechs Kilometer vor dem Ort reißt Sven die Kette. Ursache ist ein unrundes Radlager im Hinterreifen. Ein passendes Rad ist nicht im Sortiment, aber der Techniker bekommt das Fahrrad so weit flott, dass es bis Bremen reicht.
Freitag, 11.10.24 Lauenförde – Petershagen (144 km)
Der erste regenfreie Tag. Bis Kilometer 60 benötigen wir weniger als drei Stunden, dann kommt der Gegenwind. Die Fahrt wird zermürbend. Bei Kilometer 109 in Rinteln schmerzen Hintern und Knie und wir machen eine Kuchen- und Eispause. Wir nehmen uns vor über Porta Westfalica noch nach Minden zu fahren. Da es wieder besser rollt, gelangen wir sogar bis Petershagen. Abends Essen in einem chinesischen Restaurant. Die Glückskeksbotschaft lautet: „Wer nur an Sonnentagen wandert, kommt nie ans Ziel.“ Als hätten wir es nicht geahnt…
Samstag, 12.10.24 Petershagen – Bremen (112 km)
Die Abschlussetappe nach Bremen. Damit wir es sicher schaffen, verlassen wir zwischenzeitlich den Weser-Radweg zugunsten einer direkteren Route. Mittagspause machen wir am Sportplatz der JG Oyle nahe Nienburg. Früher wurde dort der Oyler Berglauf im Sommer ausgetragen, auf einer Waldstrecke mit anspruchsvollem Crosslaufcharakter. Ein echter Geheimtipp, den es seit Auflösung der dortigen Ausdauersparte leider nicht mehr gibt. Am späten Nachmittag sind wir wieder in Bremen. Fazit: muss man nicht jede Woche machen, aber gerne einmal wieder...