Die ersten Nachkriegsjahre erlebten einen kaum für möglich gehaltenen Aufschwung des gesamten Turn- und Sportwesens. Es war gleichsam eine Flucht der Bevölkerung von der hemmungslosen Zerstörung eines verheerenden Krieges mit einem Raubbau an Leben und Gesundheit in die geordneten Verhältnisse eines zivilen Lebens
Die Turnhallen wurden immer voller und gar bald war nicht nur der alte Vorkriegs-Mitgliederstand erreicht, sondern schon sehr ansehnlich übertroffen worden. Während nun die Turner mit ihren Abteilungen in den Turnhallen der Schule an der Kornstraße eine zufriedenstellende Unterkunft gefunden hatten, waren die Fußballspieler zunächst ohne Übungsplatz. Ein neuer Sportplatz wurde jedoch dem Verein alsbald hinter der Brettmann´schen Badeanstalt in der Nähe des Wasserwerks zur Verfügung gestellt. Es war eine regelrechte Weide, in der die ehemaligen Abzugsgräben sich noch als flache Mulden abhoben. Eine vollkommene Umplanierung war erforderlich. Wiederum mussten die Mitglieder, wie in den ersten Gründungsjahren, aufgerufen werden, an der Gestaltung des Sportplatzes mitzuarbeiten. Schienen und Loren wurden beschafft und Erdbewegung im „großen Stil“ gemacht. Die Mulden wurden mit Sand aufgefüllt, der lorenweise vom Weserstrand in der Höhe der Sielwallfähre herangefahren wurde. Monatelang musste am Wochenende und an den Sonntagvormittagen gearbeitet werden, aber es wurde geschafft, weil es eben geschafft werden musste. Im Mai 1922 konnte die Einweihung des neuen Sportplatzes begangen werden. Zwei Spielfelder wies er auf, der neue Platz, und sogar eine Aschenbahn war nun vorhanden.
Die Grundlage für die Rasenspiele war wieder geschaffen. Die Fußballer konnten sich ihrem Spiel widmen und die Turner und Turnerinnen hatten ausreichende Möglichkeiten, Schlagball und Faustball bzw. Trommelball zu spielen. Eine Holzbaracke wurde errichtet, die zunächst nur der Kleiderablage diente, dann aber später durch ständigen Auf – und Erweiterungsbau zu einem regelrechten Vereinsheim ausgebaut wurde. Hier entwickelte sich langsam aber sicher wieder das Vereinsfamilienleben, wie es alter Prägung nach in den Jahren vor dem Kriege gepflegt worden war.
Noch einmal gab es einen Rückschlag für den Verein. Diesmal war es ein finanzieller. Die Inflation mit ihren verheerenden Folgen räumte die Vereinskasse restlos aus. Eine ordnungsgemäße Erledigung aller Vereinsverpflichtungen wurde immer schwerer. Die Beiträge als einzigste Einnahmequelle des Vereins mussten ständig erhöht werden. Aber trotz aller Bemühungen reichte es weder hin noch her. Die Inflation griff rasend um sich und nicht nur Mitglieder, sondern die ganze Bevölkerung fing an zu resignieren. Ein einigermaßen vernünftiges Handeln war fast unmöglich geworden. Als typisches Beispiel mag die Beitragsentwicklung dienen. Nachdem die Beiträge zum ersten Male nach dem Kriege im August 1919 erhöht werden mussten und nunmehr Männer 1,- Mark, für Frauen und Jugendliche 0,70 Mark und für Kinder nach wie vor noch 0,30 Mark betrugen, waren sie drei Jahre später, im August 1922, auf folgende Höhe geklettert: Männer 25,- Mark, Frauen und Jugendliche 10,-, Passive 20,- und für Kinder 3,- Mark. Erstmals mussten für Fußballspieler (auf Antrag der Fußball-Abteilung) einen Sonderbeitrag von 2,- Mark entrichten.
Aber die Bedürfnisse des Vereins machten es bald schon notwendig, die Beiträge Monat für Monat zu erhöhen, um dann mit der letzten Erhöhung auf Beschluss der Mtgliederversammlung vom 20. Oktober 1923 mit folgenden Sätzen in der Inflation ihren niederschmetternden Abschluss zu finden: Männer 500 Milliarden, Passive 400 Milliarden, Frauen und Jugendliche 300 Milliarden und Kinder 100 Milliarden Mark. Wenn es nicht genügend Zeitgenossen gäbe, die diese Entwicklung miterlebt haben, dann könnte man die ganze Begebenheit als Utopie hinstellen oder sie als Hirngespinste abstempeln. Es war jedoch grausame Wirklichkeit. Auf der gleichen Ebene liegt als Beispiel auch noch die nachstehende Abrechnung des Festkassierers H. Pape über das Herbstfest der Fußballabteilung am 3. November 1923. Sie hat in Einnahmen und Ausgaben das nachstehende.
Einnahmen | Mrd. | Ausgaben | Mrd. |
66 Herrenkarten à 15 Mrd. | 990,- | Berliner | 1000,- |
74 Damenkarten à 10 Mrd. | 740,- | Vergnügungssteuer | 98,600 |
3 Herrenkarten à 10 Mrd. | 30,- | Musik | 1176,- |
6 Damenkarten à 5 Mrd. | 30,- | Plakate etc. | 136,- |
Versteigerung | 62,- | Tanzschein | 11,200 |
Verknobeln (Berliner) | 1534,- | ||
Gesamt | 3386,- | Gesamt | 2424,800 |
Bilanz | |
Einnahmen in Mrd. Mark | 3386,- |
Ausgaben in Mrd. Mark | 2421,8 |
Mehreinnahme | 964,2 |
In technischer Beziehung konnten jedoch in den Jahren von 1923 bis 1930 alle Abteilungen einen hervorragenden Aufstieg verzeichnen. Insbesondere die Fußballabteilung, die 1927 die Würde eines Norddeutschen Meisters errang, aber auch die Handballabteilung konnte bis zur Spitze innerhalb des hiesigen Bezirks aufsteigen und als erster Verein dem langjährigen und ununterbrochenen Bezirks- und Kreismeister VSK Gröpelingen die ersten Niederlagen beibringen. Inzwischen hatten auch die Leichtathleten sich eine achtbare Stellung im Bezirk Bremen erworben. Gelang es doch bei den Bezirksmeisterschaften im Jahre 1927, zwölf Meisterschaften zu erringen. Gleichermaßen hatte sich auch der Spielmannszug mit ausgezeichneten Leistungen eine führende Stellung nicht nur in Bremen, sondern auch weit darüber hinaus, errungen. Auf den Aufbau und die Entwicklung des in Bremen um 1925/26 herum gegründeten Bezirksspielmannszuges haben die Spielleute unseres Vereins einen hervorragenden Einfluss ausgeübt.
Im Jahre 1930 begann sich die allgemeine wirtschaftliche Krise abzuzeichnen. Arbeitslosigkeit stellte sich ein und manches Mitglied wurde hiervon betroffen. In den meisten Fällen war es keine kurze Arbeitslosigkeit, denn viele waren um diese Zeit schon ein bis zwei Jahre und mehr arbeitslos. Das hatte auch Auswirkungen auf den Verein, mussten doch einer nicht unerheblichen Zahl von Mitgliedern der Monatsbeitrag gestundet, ermäßigt oder gar ganz erlassen werden. Zu diesem Zeitpunkt zeigte sich die große echte Sportler-Kameradschaft. Das Aufbringen der von jedem einzelnen selbst zu tragenden Kosten für Verkehrsmittel für die sonntäglichen Spiele nach außerhalb Bremens, wurde immer schwerer. Aber durch die Hilfsbereitschaft sowohl bei den Fußball- als auch bei den Handballspielern wurden die Erwerbslosen von den noch in Beschäftigung stehenden Mitgliedern mit „durchgenommen“. Es war echte Kameradschaft. Es war die Stunde der Wahrheit.
Nur sparsame Bewirtschaftung der Vereinsgelder, die sich ja ausschließlich aus den Vereinsbeiträgen zusammensetzten, konnte den Verein vor neuen Rückschlägen nicht bewahren. Selbst auf die dringendste Neuanschaffung von Geräten musste verzichtet und das vorhandene Material bis zur Unbrauchbarkeit im Turn- und Spielbetrieb eingesetzt wird. Der verantwortungsbewussten Leitung gelang es, mit Hilfe der Einsatzbereitschaft eines großen Teiles der Mitgliedschaft, den Verein auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit zu erhalten.